Rostock, den 22.11.2016 - 21:15 Uhr
Der aus Stralsund stammende ehemalige Fischer Erwin Kagelmacher verstarb bereits am 22. Juli 2016 im Alter von 87 Jahren. Erwin war einmal Bootseigner von STR. 6, der heutigen FZ 110 „Fortuna“.
Und wenn ich auf den tiefsten Grund des Meeres sinke,
würde ich nie tiefer sinken
als in die ausgestreckte Hand meines Heilands
(nach Gorch Fock)
Erwin
08.05.1929 - 22.07.2016

Bereits während der Kindheit infiziert, war der Fischfang Erwins Leben. Ein festes Zuhause kannte er nur in Verbindung mit Ausschlafen und Wäschewechsel. Dann zog es ihn sofort wieder hinaus aufs Wasser. Erwin war ein tüchtiger Jungfischer. Verständlich, dass sich für ihn damals nicht die Möglichkeit einer festen Beziehung, geschweige denn zur Gründung einer Familie bot. Das kam für ihn alles erst sehr viel später.
Erwin Kagelmacher war kein Mann der großen Worte. Aber er brachte sein Leben aufs Papier, in drei DIN A4 Heften, zu jeweils 140 Seiten. Band I seiner Memoiren beinhaltet mit dem Zeitraum von 1929 bis 1961 die Zeit seiner Kindheit und Jugend. Sie war verbunden mit der Zeesenfischerei auf des Vaters Rundgatt-Zeesboot sowie dem nach dem Krieg erfolgten Erwerb und Umbau eines ehemaligen Flunderbootes - meiner heutigen "Fortuna". Diese Niederschrift in Tagebuchform ist heute ein wertvolles Zeitzeugnis. Man kann detailliert das Leben und Arbeiten einer Stralsunder Fischerfamilie in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts rekonstruieren.
Erwins Aufzeichnungen beinhalten auch die Umstände der Republikflucht im Jahr 1960. 1961 musste das Flunderboot mit der aktuellen Kennung BUR. 4 einem neuen Kutter weichen. Auch nach der Zeit der Fischerei blieb Erwin Kagelmacher dem nassen Element treu. Er war als Crewmitglied auf dem Seenotrettungskreuzer John T. Essberger der DGZRS auf Fehmarn im Einsatz. Auch in dieser Zeit, ja sogar während der liebgewonnenen Urlaubsaufenthalte in Norwegen, konnte Erwin die Finger nie ganz von der Fischerei lassen.
Den letzten, bis 1961 mit meinem Boot aktiven Fischer im Jahr 2013 noch ausfindig zu machen und bei guter Gesundheit anzutreffen, war für mich wie ein Sechser im Lotto. „Fortuna“ hat durch Erwin Kagelmacher wieder ein Gesicht bekommen. Ein Kapitel ihrer Fischereigeschichte wurde durch die zahlreichen Überlieferungen des Fischers und anhand von Fotos wieder lebendig. Aufgrund des ältesten Fotos, auf dem noch die originale Decksaufteilung zu erkennen ist und anhand von Erwins Beschreibungen, wird gegenwärtig eine Rekonstruktionszeichnung angefertigt. Damit wäre das einzige noch aus der Zeit der Segelfischerei erhaltene pommersche Flunderboot für die Nachwelt dokumentiert.
Erwin und ich mochten uns vom ersten Augenblick an. Wie bereits erwähnt, redete er nicht viel, wie man es den Fischern allgemein nachsagt. Das in seiner überaus ruhigen Art zum Ausdruck gebrachte, hatte jedoch „Hand und Fuß“. Es traf auf den Punkt. Ich konnte mir etwas darauf einbilden, dass Erwin ans Telefon kam, wenn ich anrief, was er gewöhnlich nicht tat. Als wir uns das erste Mal an Bord der „Fortuna“ trafen, sagte er mir unter vier Augen: „Du weißt aber, dass Du eine Beziehung zu solch einem Boot aufbauen musst? Du musst auch mal mit der Hand darüber streichen und mit ihm reden! Das braucht ja nicht unbedingt jemand zu sehen“. Er demonstrierte es, indem er mit seiner Hand mehrfach über die Süllkante strich.
Erwin, Farewell mein Freund – Das Boot ist in guten Händen!
Dein Uwe
Bildquellen:
Bild 1: Sammlung Karen Hanko-Kagelmacher
Bild 2 u. 3: Memoiren Erwin Kagelmacher
Bild 4: Volker Stephan
Bild 5: Katrin Hofmann